Introduction:
(sorry only in german)
Ute Noll
Kuratorin
Als prämierter Stadtfotograf 2011 hatte Leopold Fiala die schöne wie auch schwierige Aufgabe, sich frei zu entscheiden, was er den Koblenzern von ihrer Stadt zeigt. Nach einer ersten Recherche in den touristischen Zentren – wie der Bundesgartenschau oder der historischen Altstadt – hatte er sich für das Unspektakuläre entschieden. Und zunächst scheint es auch, es gehe ihm nur um wohl komponierte Aufnahmen von Vor-gärten, Büschen und Hausfassaden und keinesfalls um die Sehenswürdigkeiten der Stadt, die 2011 mit der Buga sogar über 3,5 Millionen Touristen angelockt hatten. Doch gerade aus dem Spannungsverhältnis von Koblenz als touristischer Attraktion im Gegensatz zu Koblenz als Wohnort und Heimat entwickelte er seine Fragestellung für dieses stadtfotografische Projekt.
Mit der Kamera und über Gespräche wollte er erforschen: Wie leben eigentlich die Einheimischen in der Touristenstadt Koblenz? Und er hatte dabei, mit dem Blick eines 28–Jährigen, die Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Fokus, fragte, wie sie ihr Koblenz erleben und bewerten. Schon bei seinen ersten Besuchen in der Stadt war ihm aufgefallen, dass das Stadtbild von der Touristengeneration 60 plus dominiert wird. Gerade daher wollte er herausfinden: Welche Freizeitmöglichkeiten bietet diese Stadt, die so viel Wert auf den Tourismus legt, ihrer Jugend? Bei seinem ersten Aufenthalt in Koblenz wohnte Fiala noch im Hotel, doch über die Plattform »Couchsurfing« lernte er schnell und unkompliziert viele junge Bewohner kennen, traf sie zum Gespräch oder übernachtete bei ihnen. Von diesen Unterkünften aus schwang er sich immer wieder mit Kamera, Stativ und Wechselobjektiven bepackt auf sein Fahrrad, um die vielen unterschiedlichen Wohngebiete in Koblenz zu erkunden: er erfuhr die Gegenden, wo die Großeltern– und Elterngeneration lebt und die jüngere Generation aufgewachsen ist. Im Fokus seiner Recherchen lag dabei immer der Vorgarten, denn dieses abgegrenzte Stückchen Land, das zwischen Wohnhaus und Straße liegt, ist genau der Teil, wo Privates öffentlich wird. Gerade deswegen wird dem Vorgarten eine besondere gesellschaftliche Bedeutung zugeschrieben, denn er verrät etwas über die, die hinter der Hausfassade leben. Daher kann der Vorgarten auch als das »Aushängeschild« seiner Besitzer betrachtet werden, präsentieren sich in der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Welt ihre Besitzer dort doch so, wie sie sich selbst sehen oder von anderen gerne gesehen werden wollen. Das Spektrum der Selbstdarstellung reicht dabei von kunstvoll gestalteten Buchsbäumen über Nippes-Figuren aus Keramik bis hin zu fast haushohen, die Einsicht auf das Grundstück versperrende Hecken, um nur drei Beispiele der zahlreichen individuellen Gestaltungsmöglichkeiten anzuführen, die uns Fiala in seinen Bildern zeigt.
Er hatte jedoch bei seinen Fotostreifzügen nicht nur diese individuell gestalteten privaten Vorgärten im Blick. Auch andere öffentlich zugängliche Vorräume interpretiert er als Vorgärten im übertragenen oder aber im buchstäblichen Sinn. So zeigen seine Bilder zudem Wohnhäuser, an deren Hauswand braun gewordenes Gestrüpp wuchert, oder Vorräume, wo sich Unkraut zwischen den Pflastersteinen ausgebreitet hat. Zu den um- gedeuteten Vorgärten zählt Fiala auch einen Pflanzenkübel vor dem Gesundheitsamt oder den Bürgersteig vor einem islamischen Zentrum. Ebenso als Vorgarten versteht Fiala einen ummauerten Hofplatz vor einem heruntergekommenen landwirtschaftlichen Gebäude. Viele weitere Motive dieser Kategorie findet man in der Serie.
Zu seiner Studie gehören außerdem ein paar wenige, aber wichtige Bilder, die exemplarisch belegen, was den Koblenzer Alltag aus Sicht des Fotografen stark prägt: Da ist die alltägliche, ganzjährige Präsenz des Tourismus, dargestellt durch das Motiv von dem reisenden Rentnerpaar, das auf dem Campingplatz logiert; und die ebenso ganzjährige Präsenz der Bundeswehr, dargestellt durch das Motiv der beiden Soldaten im Dienst. Erinnern wir nun noch einmal daran, unter welchem Aspekt Fiala seine Bestandsaufnahme von Koblenz gemacht hat: Er interessiert sich dafür, wie die jungen Leute seiner Generation Koblenz als Heimat oder als Wohnort erleben, wie sie ihre Freizeit verbringen und wo sie sich treffen. Zwar integrierte er in seine Serie einige ausdrucksstarken Gruppenportraits von ihnen: er zeigt sie in der Innenstadt, vor einem Wohnblock im Außenbezirk und neben der illegalen Skateboard-Anlage, die sich auf dem Gelände des stillgelegten Bundeswehr-Freibads befand und mittlerweile abgerissen wurde. Doch gemessen daran, wie wichtig diese Frage dem Fotografen scheint, finden wir in seinen Motiven auffallend wenige Orte und Aktivitäten. Die neue Skateboard-Anlage vor dem Schloss sei, so erklärt Fiala, gut gemeint, aber auf dem falschen Platz und viel zu klein. Und das Hallenbad, in dessen Vorraum eine Landschaftstapete vergilbt, stuft Fiala auch als wenig attraktiv für die Jugend ein. So erstaunt es ihn nicht, dass viele junge Leute, mit denen er gesprochen habe, »aus Koblenz wegziehen wollen«. Er glaubt nicht, dass es sich hierbei um das typische Kleinstadtphänomen handelt und hat sich über einen Erklärungsansatz auch schon Gedanken gemacht: »Die Stadt kümmert sich zu viel um ihre Touristen und zu wenig um die Jugendlichen«.
Ob seine Sichtweise stimmt oder auch nicht, darüber dürfen sich nun die Koblenzer streiten. Wünschenswert wäre es allerdings, wenn seine Ergebnisse konstruktiv mit der jüngeren Generation diskutiert würden. Jedenfalls hat Leopold Fiala seine Aufgabe als Stadtfotograf Koblenz erfolgreich umgesetzt, gerade weil er sich mit der Stadt auseinandergesetzt, sich ein aktuelles und gesellschaftlich relevantes Thema gesucht und eine umfangreiche fotografische Studie erstellt hat, die gestalterisch gut komponiert und anspruchsvoll fotografiert ist.